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Von Leipzig in die Rocky Mountains

Dem Schnee auf der Spur

Internationale Forschungskampagne auf knapp 2.900 Metern Höhe

von Katrin Henneberg & Katarina Werneburg



Der Schnee täuscht uns alle, man sieht Flocken, doch es sind Kristalle.

unbekannt



















Prolog

Wo die Gipfel fast den Himmel berühren

... wollen vier Leipziger Meteorolog:innen die letzten Geheimnisse der Schneefallbildung lüften

Hoch oben in den majestätischen Rocky Mountains, wo die Berggipfel den Himmel zu berühren scheinen und die Wildnis in all ihrer Pracht erstrahlt, haben vier Leipziger Forscher:innen ein ehrgeiziges Abenteuer unternommen. Die Meteorolog:innen waren mit einer großen Messkampagne Teil des internationalen Forschungsunternehmens SAIL, ein gewaltiges Feldexperiment, bei dem fast zwei Jahre lang interdisziplinäre Messungen zum Wasserkreislauf durchgeführt wurden.

In diesem inspirierenden wissenschaftlichen Setting, inmitten einer überwältigenden Landschaft und vor der atemberaubenden Kulisse des 3.850 Meter hohen Gothic Mountain schlugen die Meteorolog:innen ein neues Kapitel in der Geschichte der Schneeforschung auf. Denn mit ihren in dieser Fülle und Komplexität bislang nicht vorhandenen Messergebnissen konnten sie tief in die Geheimnisse des Schnees und seiner Entstehung eintauchen.

Komplexe Schneefallprozesse versteht man am besten mit einer großen Datenlage. In den Rocky Mountains fällt ein Vielfaches mehr an Schnee als in Deutschland, in Gothic waren es im vergangenen Winter insgesamt zehn Meter."

Juniorprofessorin Dr. Heike Kalesse-Los, Leipziger Institut für Meteorologie

Das Team

Ihre Begeisterung für Schnee

... eint die forschenden Vier
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Unterwegs in die Rocky Mountains im Juni 2023: Juniorprofessorin Dr. Heike Kalesse-Los reiste nach Gothic (Colorado, USA), um nach siebenmonatigen Messungen die Schneefallkameras und das Wolkenradar des Leipziger Instituts für Meteorologie wieder abzubauen und auf die Heimreise zu schicken. Beim Zwischenstopp in Denver checkte die Meteorologin das aktuelle, mit den genannten Messinstrumenten aufgezeichnete Wetter in Gothic.

Ein Wissenschaftler:innen-Quartett vom Institut für Meteorologie der Universität Leipzig erforscht im SAIL-Teilprojekt CORSIPP die orographisch beeinflusste Bereifung von Schneekristall-Teilchen, die damit verbundene sekundäre Eisproduktion und deren Auswirkungen auf Niederschlagsraten.

  • Dr. Heike Kalesse-Los, Juniorprofessorin, Co-Leiterin CORSIPP-Projekt
  • Dr. Maximilian Maahn, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Co-Leiter CORSIPP-Projekt
  • Dr. Veronika Ettrichrätz, wissenschaftliche Mitarbeiterin
  • Anton Kötsche, Doktorand
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Die klugen Köpfe hinter der Messkampagne.

Die Forschung

Im Hochgebirge, wo Land und Atmosphäre eng gekoppelt sind

..., werden zentrale Prozesse des Wasserkreislaufs entschlüsselt
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Die Hintergründe des internationalen Feldexperiments SAIL erläutert Juniorprofessorin Dr. Heike Kalesse-Los.

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Dr. Maximilian Maahn über den Prozess der sekundären Eisproduktion, ein wesentlicher Untersuchungsgegenstand der Messkampagne CORSIPP.

Gebirge sind die natürlichen Wasserspeicher unserer Erde und spielen eine Schlüsselrolle im weltweiten Wasserhaushalt. In ihrer komplexen rauen Landschaft sind Land und Atmosphäre eng gekoppelt und interagieren auf unterschiedliche Weise miteinander.

Die Anzahl atmosphärischer und hydrologischer Messungen in Gebirgsumgebungen war bislang begrenzt. Dementsprechend konnten zentrale Prozesse des Wasserkreislaufs nur unzureichend erklärt werden.

Die interdisziplinäre SAIL-Kampagne und das daran beteiligte CORSIPP-Projekt haben riesige verwertbare Datenmengen gesammelt, um die zentralen Prozesse des Wasserkreislaufs abbilden und beschreiben zu können und bislang unzureichende Computermodelle damit zu verbessern.



Wie bildet sich Schneefall?

Wenn Schneefall entsteht, sind häufig folgende Mechanismen aktiv:

  • Zu Beginn gefrieren kleine Wassertröpfchen an Schneekristallen an, was die Masse des Schnees erheblich steigert. Das nennt man Bereifung.
  • Hinzu kommt der Prozess der sekundären Eisbildung. Er kann zu einer höheren Anzahl von Schneekristallen in den Wolken führen, als die Zahl der tatsächlichen Eiskeime erwarten lässt.

Die sekundäre Eisbildung setzt sich dann in Gang, wenn während der Bereifung Eiskristallfragmente abbrechen und daraus neue Schneepartikel entstehen.

Dieser Prozess erklärt, warum wir am Boden oft mehr Schneeflocken messen, als die Anzahl der ursprünglichen Eiskeime vermuten lässt. Die Frage, wie oft Bereifung von Schneeflocken stattfindet, ist komplex. Sie hängt zum Beispiel davon ab, ob die Wolken Flüssigwasserschichten enthalten, durch die die Schneeflocken hindurchfallen können, und wie schnell die Schneeflocken fallen.

Juniorprofessorin Dr. Heike Kalesse-Los, Leipziger Institut für Meteorologie

Die Aufnahmen zeigen von links nach rechts: pristine (unberührte) Schneeflocken-Dendriten, ihre zunehmende Bereifung und am Ende Graupel.

Die Aufnahmen zeigen pristine (unberührte) Schneeflocken-Plättchen und sogenannte sektorale Schneeflocken-Plättchen.

Bilder von nicht bereiften Schneeflocken, aufgenommen von einer Schneefallkamera am 3. Dezember 2022.

Wissenschaftler:innen konnten die komplexen Vorgänge während der Schneefallbildung in Wetter- und Klimamodellen bisher nicht genau abbilden.

Um die Datenlage deutlich zu verbessern, hat das Forschungsteam auf eine Kombination moderner Technologien gesetzt:

  • ein Radarsystem zur Fernerkundung von Wolken und deren Innerem
  • und zwei Schneefallkameras, um im Detail zu dokumentieren, was tatsächlich am Boden landet und wie stark die Partikel bereits bereift sind.

Die gewonnenen Daten sind total spannend. Wir haben dank der Schneefallkameras die Möglichkeit, die Form und Größe der Partikel explizit zu sehen, währenddessen wir mit dem Wolkenradar Variablen gemessen haben, aus denen wir ableiten können, wie groß die Partikel sind, wie viele es waren und wie schnell sie gefallen sind."

Juniorprofessorin Dr. Heike Kalesse-Los, Leipziger Institut für Meteorologie

Der Ort des Geschehens

Von der Minenstadt zum Forschungsdorf

... entwickelte sich der 1879 gegründete Ort Gothic in Colorado, USA



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Meter über NN

Am Fuß des 3.850 Meter hohen Gothic Mountains, umgeben von einer malerischen Landschaft liegt auf 2.891 Höhenmetern das gleichnamige Dorf Gothic. Schneebedeckte Gipfel, tiefe Schluchten und dichte Wälder prägen die beeindruckende Orographie der Bergwelt. Im Jahr 1879 als Minenstadt zur Förderung von Silber errichtet, dient das abgeschiedene Örtchen mit einer überschaubaren Zahl einfacher Blockhütten heute vor allem der Forschung.





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Ankunft in Gothic: Das Leipziger Forschungsteam erkundet die Unterkunft für die nächsten Tage.



Rocky Mountain Biological Laboratory - kurz RMBL - nennt sich die Feldstation nahe der verlassenen Bergbaustadt Gothic. Sie existiert bereits seit 1928 und beherbergte die gesamte SAIL-Kampagne.

Winter in Gothic im November 2022.

Doktorand Anton Kötsche war beim Aufbau der Messgeräte dabei.

Als die Leipziger Forscher:innen im Juni zum Abbau ihrer Messstation wieder in die Rocky Mountains kamen, lag nur noch auf den Bergkuppen Schnee.

Kurz vor der Heimreise nach Leipzig sitzt Juniorprofessorin Dr. Heike Kalesse-Los auf perfekt gepackten "Koffern".













Die Geräte

Den Herzschlag der Forschung

... bestimmten die Messinstrumente

An allen Hängen und im Tal rund um Gothic verteilt waren die meteorologischen und hydrologischen Messtationen der SAIL-Kampagne aufgebaut.

Ihr Wolkenradar "LIMRad94" und die beiden Schneefallkameras haben die Meteorolog:innen längst schon wieder am Leipziger Institut ausgepackt.

Die erhobenen Daten beider Messinstrumente zu kombinieren, ist nun ihre Aufgabe und sehr vielversprechend für neue Erkenntnisse.

Das tolle an einem Radar ist, dass es in die Wolken hineingucken kann. Damit bekommen wir einen Einblick, welche Prozesse genau gerade in der Wolke aktiv sind.

Dr. Maximilian Maahn, Leipziger Institut für Meteorologie

Was genau passiert in den Wolken? Das hat sieben Monate lang das Wolkenradar aufgezeichnet.

Das Wolkenradar im Winter 2022/23.

Gleichzeitig haben die Schneefallkameras von zwei verschiedenen Seiten Schneeflocken gefilmt, die am Boden ankamen.

Die Schneefallkameras kurz vor ihrem Abbau im Juni 2023.

Container mit den Messinstrumenten der SAIL-Kampagne.

Blick auf die SAIL-Messcontainer von oben.

Das Wolkenradar

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Juniorprofessorin Dr. Heike Kalesse-Los erklärt, wie das Leipziger Wolkenradar im Detail funktioniert.

Die Schneefallkameras

Die Schneeflocken mit zwei Kameras von zwei Seiten zu filmen, war hilfreich, um den Bereifungsprozess direkt in den Bildern zu erkennen. Die Schneeflocken sehen viel dichter und kompakter aus, wenn Bereifung an den sogenannten Dentriten stattgefunden hat – und sie fallen dann schneller.

Dr. Veronika Ettrichrätz, Leipziger Institut für Meteorologie

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Die Flockenform, ihre Größe, die Anzahl der Partikel und deren Fallgeschwindigkeit sichtbar machen: Das alles können Schneefallkameras. Dr. Veronika Ettrichrätz zeigt, wie die Bilder und Videos der Schneeflocken aufgenommen werden.

Die Radiosonde

Zusätzlich haben zweimal täglich und immer zur selben Zeit Radiosondenaufstiege an einem Ballon stattgefunden. Sie wurden vom Atmospheric Radiation Measurement (ARM) user facility durchgeführt.







So konnten wir Lufttemperatur, Feuchte, Druck und Windgeschwindigkeit in verschiedenen Höhen messen, um ein weiteres Profil mit hochaufgelösten Wetterdaten direkt aus der Atmosphäre zu erstellen. Es wird ebenfalls in Wetter- und Klimamodelle einfließen."

Juniorprofessorin Dr. Heike Kalesse-Los,

Leipziger Institut für Meteorologie

















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Erster Tag des geplanten Ausschaltens und Abbaus des Wolkenradars: Juniorprofessorin Dr. Heike Kalesse-Los wertet vorab noch einmal die zuletzt aufgenommenen Daten des Messgerätes aus.

Der Abbau

Ein 3D-Puzzle rückwärts

... war nach einer Woche fertig

Mit Kraft dicke lange Schrauben lösen, geduldig unzählige Kabel abstecken und jedes einzelne Teil transportsicher verpacken ... Das Abbauen der Messgeräte erforderte von den Wissenschaftler:innen echte Handarbeit, hier und da Millimeterarbeit und manchmal sogar Schwerstarbeit.



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Beim Einpacken und Verladen der wertvollen, teilweise sehr schweren und hochsensiblen Messgeräte musste jeder Handgriff sitzen. Das gelang mit der Hilfe vieler Helfer vor Ort.

Der Ausblick

Ein besonders wertvoller Datensatz

... und das erste Glied einer langen Forschungskette

Der Südwesten der USA, in dem auch die Rocky Mountains gelegen sind, leidet seit einigen Jahren unter starkem Wassermangel. Die Ergebnisse der CORSIPP-Messkampagne liefern ein wesentliches Puzzleteil für das Verständnis des gesamten Wasserkreislaufs der Region.

Im nächsten Schritt werden neue, von den Meteorolog:innen selbstprogrammierte Auswertungs- und Visualisierungsalgorithmen eine entscheidende Rolle spielen, um die Entstehung von Schneefall – und generell Niederschlägen – im Detail zu durchdringen. Das wird letztlich auch präzisere Niederschlagsvorhersagen ermöglichen.

Der Erkenntnisgewinn der Leipziger Forscher:innen profitiert auch von den übrigen Messungen der SAIL-Kampagne, bei denen eine breite Palette an Fernerkundungsinstrumenten zum Einsatz kam. All diese Daten kombiniert mit den Messergebnissen der Leipziger Meteorolog:innen macht den finalen Datensatz besonders umfassend und wertvoll – und zum ersten Glied einer langen Forschungskette.

Durch ein verbessertes Verständnis der Entstehung von Schnee und Niederschlag in den Wolken können Wetter- und Klimamodelle zukünftig genauer gestaltet werden. Dies ermöglicht präzisere Vorhersagen von Niederschlägen und bietet Einblicke in die möglichen Veränderungen der Niederschlagsmuster in einer sich erwärmenden Welt. Unsere Forschungsergebnisse stellen einen wichtigen ersten Schritt in diese Richtung dar.

Dr. Maximilian Maahn, Leipziger Institut für Meteorologie

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Eine beeindruckende Datenfülle, überraschende Erkenntnisse, spannende Ableitungen: Die Forscher:innen über die Möglichkeiten, die ihre aufgezeichneten Messungen der "Wissenschaft vom Schnee" nun bieten.



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Schneeflocken haben die Leipziger Meteorolog:innen beobachtet.



Jede Schneeflocke ist einzigartig, viele sehen aus wie wunderschöne typische Weihnachtssterne, andere wie sechseckige Plättchen, Säulen oder ganz dünne Nadeln. Es gibt unzählige Arten und Formen.

Dr. Veronika Ettrichrätz, Leipziger Institut für Meteorologie